
Die Macht der fünf Sinne
Das Konsum-Äffchen
Prof. Dr. Kroeber-Riel vom Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität in Saarbrücken hat bereits vor mehr als 20 Jahren den Begriff des Konsum-Äffchens geprägt. Vielleicht schon damals ein Seitenhieb auf die Werbeindustrie, die mit immer ausgefuchsteren Methoden den Menschen zum hirn- und willenlosen Konsumenten machen möchte.
Nicht wenige Zeitgenossen glauben auch heute noch, dass wir kinderleicht manipulierbar sind. Wenn man es nur richtig anstellt. Hier hat besonders die aktuelle Wahrnehmungs- und Gehirnforschung dazu beigetragen, den Höhenflug der kontrollierbaren Handlung weiter zu fliegen.
Allein - der Absturz ist vorhersehbar. Denn unser Gehirn ist das komplexeste und am wenigsten bekannte Gebilde im Universum. Und das wird wohl auch noch eine ganze Weile so bleiben. Was wir trotzdem nutzen können, ist das deutlich verfeinerte Wissen um die Wirkung bestimmter Signale, auf die wir Menschen mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit fast kollektiv reagieren.
Das altbekannte Dreiergespann von Sex, Kindern und Tieren in der Werbung ist ein ewig wirksames Beispiel dafür. Hinzugekommen sind Erkenntnisse über die Wirkungsweise unserer Sinne, die ganz eindeutig viel zu wenig Beachtung fanden.
Hier tut sich Vielversprechendes. Bevor wir uns die fünf Sinne näher betrachten, möchte ich diese kleine Abhandlung mit der Bedeutung von impliziter und expliziter Wahrnehmung beginnen.
Das ist implizit:

Wenn dir beim Betrachten dieses Bildes etwas seltsam vorkommt, ist genau in dem Moment das implizite Gedächtnis aktiv. Denn wir haben gelernt, dass Pinguine in kalten, eisigen Regionen in der Nähe von Wasser leben. Unser implizites Gedächtnis analysiert automatisch und unbewusst alle Szenen, die wir wahrnehmen und vergleicht es mit den erlernten Gedächtnisinhalten. Sobald etwas auftaucht, das nicht in eine bestimmte Szene passt, macht es uns darauf aufmerksam. Das implizite Gedächtnis arbeitet also bei jeder Wahrnehmung unbewusst; es vergleicht die neu eintreffende Wahrnehmung mit der gespeicherten Information im Gedächtnis und macht sich bemerkbar, wenn etwas nicht stimmt.
Das ist explizit:

Stell dir vor, du sollst das Bild mit einem Gegenstand ergänzen, der dort tatsächlich vorkommen könnte. Also bspw. ein verdorrter Baum oder ein Kamel. Um dies zu leisten, musst du aktiv in deiner Erinnerung kramen.
Genau das ist der Unterschied zum impliziten Gedächtnis: man muss sich bewusst anstrengen, damit eine Information verfügbar wird – während das implizite Gedächtnis Informationen bereithält, ohne bewusste Anstrengung.
4 : 11.000.000
Der größte Unterschied zwischen impliziter und expliziter Wahrnehmung ist die Wahrnehmungskapazität.
Unser implizites System nimmt sage und schreibe ELF MILLIONEN Sinneseindrücke PRO SEKUNDE wahr. Und nicht nur das: Es verarbeitet diese Informationen in Sekundenbruchteilen und sagt uns ohne zu überlegen, ob wir das Baby streicheln oder vor dem Rottweiler die Flucht ergreifen sollen.
Unser explizites System nimmt dagegen nur vier Sinneseindrücke im gleichen Zeitraum auf. Das entspricht einem Satz mit vier, fünf Worten. Oder zwei bis drei Zahlen.
Der erste grobe Fehler, den die Werbung dabei macht, ist nach wie vor auf stereotype Aussagen zu setzen, die dadurch nicht besser werden, indem man sie uns einfach oft genug um die Ohren haut. Was dabei nämlich heraus kommt, ist HIRNSAUSEN!
Wenn man bei Google Suchbegriffe eingibt, die von der Wirtschaft immer und immer wieder genutzt werden, erhält man Stand Sept. 2018 folgende Ergebnisse:
Qualität: 331 Millionen Treffer
Innovation: 710 Millionen Treffer
Original: 7,0 Milliarden Treffer
Service: 8,9 Milliarden Treffer
Das ist an „einfachem Gemüt“ kaum zu überbieten. Denn nicht nur, dass fast jeder das gleiche von sich behauptet. Schlimmer noch ist der Gedanke dahinter, so tatsächlich als einzigartig wahrgenommen zu werden.
Was im Gehirn des Kunden dabei allerdings geschieht, ist in wenigen Worten erklärt: „Kenn ich schon, glaub ich nicht, brauch ich nicht!“
Wir benötigen also einen anderen, besseren Zugang zur Kaufentscheidung des Kunden. Der ist längst angelegt.
Und heißt: Belohnungssystem!

BELOHNUNGSSYSTEM
Was habe ICH davon?
Fast reagieren wir irritiert auf diese direkte Frage. Es scheint unpassend, so mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber - und das ist gewiss - nichts treibt uns Menschen mehr an als genau diese vier Wörtchen: "Was habe ICH davon?"
Wenn unser Angebot darauf keine glaubwürdige Antwort liefert, wird es nicht gekauft. Haben wir diese Antwort, müssen wir sie „nur noch“ so verpacken, dass sie vom Kunden auch möglichst schnell und ohne Umwege verstanden und in eine Kaufhandlung umgesetzt wird.
Der sicherste Zugang dazu ist unser im Stirnhirn verortetes Belohnungszentrum. Und das „überzeugen“ wir am sichersten durch die Aktivierung unserer fünf Sinne.
Kollektive Individualität
Die allermeisten Reaktionen auf bestimmte Reize sind nicht im Ansatz so individuell, wie wir uns das in grenzenloser Freiheit gerne vorstellen.
Die Neurowissenschaft weiß bereits seit mehr als zehn Jahren, dass wir Menschen zuverlässig auf bestimmte Reize reagieren. Und sie weiß, dass diese Reize massenrelevant sind.
In einer umfangreichen Studie von MetaDesign und der different GmbH konnten Erlebnis- und Motivationsfelder definiert werden, die auf uns alle mehr oder weniger zutreffen. Und die dadurch für die Werbung hervorragend nutzbar sind.
Das sind die funktionierenden Erlebnis- und Motivationsfelder:

Belohnung Hoch 5
Sehen, hören, riechen, schmecken, tasten… hier wird ohne großes Nachdenken entschieden, was uns gefällt oder was nicht;
was wir gerne hören oder was nicht;
was wir nicht riechen können oder was doch,
was eklig schmeckt oder toll
und was wir immer wieder gerne anfassen oder unter gar keinen Umständen berühren möchten.
Diese Reaktionen sind tief in uns verankert. Deshalb funktionieren sie beim richtigen Einsatz in der Werbung auch so gut.
Und an dieser Stelle gilt der Grundsatz "Viel hilft viel" ganz besonders!
Markenwerte müssen über möglichst viele Sinneskanäle vermittelt werden, da Kunden Marken fast immer mit allen Sinnen wahrnehmen, sogar unabhängig davon, ob alle Sinneseindrücke bewusst vom Unternehmen gesteuert werden oder nicht.
Wenn wir einen Reiz ansprechen, liegt die Trefferquote bei 28 %
Setzen wir zwei bis drei Reize ein, klettert sie auf 43 %
Und wenn wir alle ansprechen, steigt sie auf 59 %.

Fazit
Implizit, Explizit, Eigennutzmotivation, Ich-Beteiligung, Belohnungs-zentrum… man könnte leicht den Überblick verlieren. Aber solange wir auf tief verankerte Gefühle und die entsprechenden Reize setzen, kann keine Werbeaktion falsch sein.
Dass ich damit weder gefühlsüberladene Bildchen noch aufdringlich und tausendmal gelesene Headlines meine, dürfte klar sein. Und dass es schon gar nicht darum geht, heute mal "besonders kreativ" zu sein, liegt auf der Hand.
Es geht um deine professionelle Auseinandersetzung mit derzeit habhaften wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren konsequenter Anwendung.
Dazu brauchst du explizite Inhalte, für die sich dein Kunde bewusst entscheiden kann. Und du brauchst implizite Inhalte, die ihn unterbewusst daran erinnern, bei "seiner" Marke zu sein.
Hab´s schön
Thomas
© 2017 Thomas Eschment